Offizielle Bekanntmachung: Kaltplasma als neue Perspektive in der Behandlung beatmungsassoziierter Lungeninfektionen
Von Prof. Dr. Hortense Slevogt
Leiterin der Forschergruppe „Respiratory Infection Dynamics“
Stand 18.06.2025
Das klinische Problem
Bei kritisch kranken, künstlich beatmeten Patientinnen und Patienten gehört die beatmungsassoziierte Pneumonie (VAP) zu den häufigsten und zugleich schwerwiegendsten Komplikationen. Abhängig vom klinischen Setting sind bis zu 40 % der Beatmeten betroffen, mit einer Letalität von bis zu 50 %. In bis zu einem Drittel der Fälle erweist sich die initiale empirische Antibiotikatherapie als nicht ausreichend wirksam, da die konkrete Resistenzlage zum Behandlungsbeginn häufig noch nicht bekannt ist. Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit zeigt, dass eine inadäquate empirische Behandlung mit einem um 66 % erhöhten Sterberisiko verbunden ist und zudem häufiger zu längerer Beatmungsdauer, verlängerter Hospitalisierung und zusätzlichen Komplikationen führt (Tariq et al. 2025).
Die Herausforderung
Die moderne Intensivmedizin steht vor einer doppelten Herausforderung. Zum einen müssen schwere Infektionen frühzeitig und wirksam behandelt werden. Zum anderen dürfen eingesetzte Therapien nicht zur weiteren Verbreitung antibiotikaresistenter Erreger führen. Die wachsende Verbreitung resistenter Erreger erschwert zunehmend die Auswahl wirksamer Antibiotika. Einer globalen Analyse des GRAM-Projekts zufolge waren antimikrobielle Resistenzen im Jahr 2019 direkt für 1,27 Millionen Todesfälle verantwortlich und mit fast fünf Millionen weiteren Todesfällen assoziiert. Modellrechnungen prognostizieren bis 2050 jährlich über acht Millionen Todesfälle, die auf resistente bakterielle Erreger zurückzuführen sind, sofern keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen werden (Murray et al. 2024). Dies unterstreicht die Notwendigkeit, neue, nicht-antibiotische Strategien zur Infektionsbehandlung zu entwickeln.
Kaltplasma als innovativer Ansatz
Kaltplasma ist ein physikalisch erzeugtes, gasförmiges Gemisch aus elektrisch angeregter Umgebungsluft. Es enthält kurzlebige reaktive Spezies, insbesondere Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen, die gezielt mikrobielle Zellstrukturen schädigen. In der Wundbehandlung ist Kaltplasma bereits erfolgreich im klinischen Einsatz. Seine breite antimikrobielle Wirkung entfaltet sich unabhängig vom Resistenzprofil der Erreger – ein entscheidender Vorteil angesichts zunehmender Antibiotikaresistenzen.
Für die Anwendung im Atemwegssystem ergeben sich daraus neue therapeutische Optionen: Kaltplasma kann lokal appliziert werden, ohne systemische antiinfektive Substanzen zu benötigen. Es wirkt direkt an der Eintrittspforte pulmonaler Infektionen und könnte dadurch die mikrobielle Last in den Atemwegen und in der Lunge beatmeter Patient:innen frühzeitig und gezielt reduzieren.
Wie die systematische Übersichtsarbeit von Tariq et al. (2025) zeigt, erhält etwa ein Drittel der Patient:innen mit beatmungsassoziierter Pneumonie (VAP) initial eine nicht wirksame empirische Antibiotikatherapie. In dieser Subgruppe ist das Mortalitätsrisiko um 66 % erhöht. Eine frühzeitige lokale Applikation von Kaltplasma – unabhängig von Erregeridentifikation und Resistenzlage – könnte genau in dieser vulnerablen Phase eine antimikrobielle Wirkung entfalten und so das Risiko schwerer Verläufe deutlich senken. Hochgerechnet auf 100 beatmete Patient:innen mit VAP könnten so ca. 2–3 Todesfälle vermieden werden.
Darüber hinaus ist eine inadäquate initiale Therapie laut derselben Analyse mit einer verlängerten Beatmungsdauer assoziiert im Mittel um geschätzt 2 bis 4 Tage. Durch eine frühzeitige mikrobielle Kontrolle könnte Kaltplasma zur schnelleren Kontrolle der pulmonalen Entzündung beitragen und somit die Entwöhnung vom Beatmungsgerät beschleunigen. Dies würde nicht nur das Risiko Ventilator-assoziierter Komplikationen reduzieren, sondern auch relevante Kostenersparnis zur Folge haben.
Das Forschungsprojekt
Ziel unserer Untersuchungen ist es, die Sicherheit und Wirksamkeit von Kaltplasma bei der Anwendung im unteren Atemtrakt zu prüfen. Dafür kommen differenzierte Zellkulturmodelle des menschlichen Lungenepithels zum Einsatz, unter anderem primäre humane Epithelzellen, Air-Liquid-Interface-Modelle und präzisionsgeschnittene Lungengewebeschnitte. Erste Befunde deuten darauf hin, dass die Applikation von Kaltplasma in Konzentrationen mit nachweislich antimikrobieller Wirkung keine erkennbaren Schäden an den Epithelstrukturen verursacht. Diese Ergebnisse liefern eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer nichtmedikamentösen antiinfektiven Strategie mit breitem Wirkspektrum.
Zulassungsperspektive und weiterer Entwicklungsweg
Sobald die präklinischen Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten vollständig ausgewertet sind, planen wir für den Spätsommer 2025 die Beantragung einer ersten Sonderzulassung für die Anwendung von Kaltplasma im unteren Respirationstrakt. Dabei kommt das von der Viromed Medical AG entwickelte, patentierte und geschützte Plasmagerät PulmoPlas zum Einsatz. Die im Rahmen der von Viromed initiierten Studie entstehenden Eigentumsrechte und Patente sind Eigentum der Viromed Medical AG. Die bisherigen in vitro Ergebnisse zeigen ein günstiges Sicherheitsprofil und eine ausgeprägte antimikrobielle Wirksamkeit. Da es sich um ein innovatives physikalisches Verfahren mit hohem klinischem Bedarf handelt, streben wir in enger Abstimmung mit den zuständigen Zulassungsbehörden ein beschleunigtes Verfahren an.
Literatur
Tariq, Areeba, Yumna Ali, Asif Raza, et al. 2025. “Risk Factors and Outcomes of Inadequate Empirical Antibiotic Therapy in Ventilator-Associated Pneumonia: A Systematic Review and Meta-Analysis.” Annals of Medicine and Surgery 87: 3786–3793. https://doi.org/10.1097/MS9.0000000000003289 Murray, Christopher J. L., Kevin S. Ikuta, Fablina Sharara, et al. 2024. “Global Burden of Bacterial Antimicrobial Resistance in 204 Countries and Territories in 2019: A Systematic Analysis.” The Lancet 403 (10433): 285–313. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(24)01867-1